Komplette Leseprobe des dritten RoMans „Iszma“
Jun.
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Kehliges Lachen erfüllte die stickige Nachtluft.
In der Ferne rollte Donner und kündigte ein morgendliches Gewitter
an. Eine Wohltat nach der langen heißen Zeit, während der das Atmen
in den engen Gassen oftmals schwergefallen war; ein Umstand,
der durch die hohen Mauern von Varanas noch verstärkt wurde.
Hohe Mauern, die dem Schutz dienten und die doch ihre Bewohner
einsperrten. Nicht körperlich, sondern in ihren Köpfen. Schönheit
und Kunst wurden hier zelebriert, Handel und Forschung. Doch
was als eine Stätte der Ideale hatte beginnen sollen, war nun eine
Festung der Bürokratie und Bigotterie geworden. Wer nicht zu den
reichen und angesehenen Bürgern der Stadt zählte, zu den ehrbaren
und respektablen Handwerkern und Händlern, der war hier nicht erwünscht
und wurde allenfalls geduldet.
Und doch strömten immer mehr der „Geduldeten“ in diese Stadt.
Abenteurer, die auf der Suche nach Informationen und Aufträgen
waren; Expeditionen, die sich hier ausrüsten oder die berühmten Archive
der Gilden zum Studium ihrer Forschungen aufsuchen wollten.
Doch nicht in diesem Viertel.
Abseits der schönen Marmorfassaden der Gildenhallen, abseits
der einladenden Bürgerhäuser und Handwerkshallen, lag das nordöstliche
Viertel der Stadt. Hier brannten in der Nacht nur wenige
Lichter und tauchten die Straßenzüge in ein dunkles Schwarzblau.
Nur hier und da wurde es von goldenem Kerzenschein oder dem
rußigen Flackern offener Feuerstellen durchbrochen, über denen
Kessel mit Essen köchelten und einen schweren Geruch aus Kohlsuppe
und zur Unkenntlichkeit verkochtem Fleisch in die engen
Gassen sandten.
Dennoch – während in den Vierteln der wohlhabenden Bürger
die meisten nun ordnungsgemäß schliefen, pulsierte hier, in diesem
weniger vornehmen Viertel von Varanas, ein Leben, das dem Ältestenrat
der Stadt ein Dorn im Auge war. Abseits der Geschäfte, der
Gildenbüros und Märkte, abseits der Verwaltung, der Wachen und
Handwerker in ihren kleinen Fachwerkhäusern, vergnügten sich hier
manche der bei Tage so ordnungsliebenden Bürger mit Alkohol,
frönten dem Glücksspiel um Geld und Besitz oder kauften sich die
Träume fleischlicher Genüsse von jungen Frauen und Männern,
die diese verbotenen Waren feilboten. Ja, hier tranken und zechten,
prahlten und stritten sie. Manche der Männer und Frauen, die hierherkamen,
versuchten dem Scheitern ihrer Existenz zu entfliehen,
andere wollten an die Grenzen ihres eingeengten Lebens gehen,
diese gar überschreiten, um sich lebendig und frei zu fühlen. Abenteurer
suchten hier Abnehmer für Beute, und Hehler stellten keine
Fragen über den Ursprung der angebotenen Waren.
Doch sosehr dieser Sündenpfuhl und Quell des Lasters den Obersten
und Ehrbaren ein Dorn im Auge sein mochte, er ließ sich nicht
ausmerzen, hatte doch auch dieser Ort seine Beschützer, von denen
nicht wenige aus den Reihen der Gildenfürsten stammten. Hier, in
der Schattenwelt von Varanas, blickten die Wachen des Sheriffs von
Varanas oft in die andere Richtung und schritten nur ein, wenn das
Leben eines Bürgers oder eines zahlungskräftigen Glücksritters in
Gefahr war. Denn letztlich galt auch hier: Wer in die Schatten abtauchte,
der musste damit rechnen, von den Dieben, Strolchen und
Schurken von Varanas ausgeraubt zu werden – auch wenn der Rat der
Stadt entschieden bestritt, dass es in Varanas überhaupt eine Gilde
der Diebe und Schurken gebe.
Der Sheriff von Varanas, Victor ad’Cindairyn – benannt nach
dem Ort seiner Herkunft, einer Pioniersiedlung in den Heulenden
Bergen –, gewährte den Bewohnern des Viertels freie Hand, denn in
einer Stadt, in der Reinheit und Korrektheit Tag für Tag als Tugenden
proklamiert wurden, brauchten die Menschen ein Ventil. Einige
sagten, diese offene Haltung den Dieben gegenüber liege an seiner
Ehe zu der Dame Sybilla, von der manche behaupteten, sie stamme
selbst aus der halbseidenen Welt der Schatten von Varanas und sei
eine ruchlose Diebin und Schurkin.
Doch ganz gleich, was der Grund sein mochte – solange es ihm
und seinen Mannen half, die Ordnung aufrechtzuerhalten, war der
Sheriff zu einem Handel mit den Schatten bereit. Auch der Umstand,
dass die Wachen einen Anteil für den Sheriff eintrieben, half dabei,
die versteckten, unbekannten und offiziell geleugneten „Salons“
am Laufen zu halten, wie die Hinterhof-Tavernen nunmehr genannt
wurden.
Mias Salon
war in diesem Sommer der Tipp unter den zahllosen
„Betriebsstätten des Lasters“, wie diese Orte im offiziellen Jargon
betitelt wurden. Das heitere Spiel von Trommeln und Flöten erfüllte
das rauchige Halbdunkel der Taverne, und die Männer und Frauen,
die sich eingefunden hatten – in den Augen der rechtschaffenen
Bürger Abenteurer und anderes zwielichtiges Gesindel –, hämmerten
mit den Knäufen ihrer Dolche auf die schweren Eichentischplatten,
um den Rhythmus der Tamburine und Trommeln zu verstärken. Der
Lärm schwoll an, steigerte sich zu einem Inferno, denn alle wollten
endlich die Attraktion dieser Nacht sehen.
Die Gäste forderten sie mit diesem aufpeitschenden Getöse auf,
endlich zu tanzen: Iszma, die Tänzerin mit der perlmuttfarbenen
Schlange.
Die Schatten der getünchten und mit rauem Putz versehenen Alkoven
boten Schutz vor neugierigen Blicken.
Es war der hintere Bereich von M
ias Salon, den der Zwerg aufgesucht
hatte. Die Taverne bestand aus einem weitläufigen L-förmigen
Raum mit hölzernen Tischen und Bänken, einem großen
Schankbereich und dem lodernden, wärmenden Feuer unter dem
glockenartigen Abzug in der Mitte des Raumes. Zwar würde er hier
weiter von den Darbietungen entfernt sein als an den Tischen in der
Mitte, doch hier, mit dem Rücken zur Wand, fühlte er sich wohler
unter den Menschen – und Elfen. Und da selbst Zwerge von anderen
Stämmen seine Gegenwart mieden, bevorzugte er die dunkle Decke
aus Schatten, die ihm Schutz bot.
Niemand mag einen Krüppel in dieser Welt. Wer schwach ist, der
bleibt ausgestoßen zurück.
Brummig schob Maccon Zeeb mit dem
Armstumpf seinen Bierkrug über das abgewetzte, speckige Holz
des Tisches näher an sich heran und ergriff dann mit der gesunden
Linken das Gefäß.
Seine Rechte hatte er vor Jahren im Kampf gegen einen Draken
verloren. Draken waren echsenartige Kreaturen, denen das Schicksal
die majestätische Größe eines echten Drachen nicht gegönnt hatte.
Er hatte seine seitliche Deckung vernachlässigt und den zweiten Angreifer
von der Seite nicht wahrgenommen, bis ihm dieser die Fänge
ins Fleisch geschlagen hatte.
Er war dennoch entkommen, nicht ohne der Bestie den Schädel
zu spalten, doch die Wunde war vergiftet, und so hatte er die zerfleischte
Hand letztlich abtrennen müssen. Er hatte die Lektion, dass
es weiser war, mit einer schlagkräftigen Gruppe durch Taborea zu
ziehen als alleine, auf die harte Art erfahren müssen.
Schlagkräftig
und mit Heilern! Ja, wäre ein Heiler dabei gewesen, hättest du deine
Rechte noch. Narr!
Er hatte irgendwie überlebt, hatte Hühnchenknochen als Reliquien
an Klöster verkauft, sich mit arroganten Bürokraten herumgeärgert,
die ihn ob seiner „Minderwertigkeit“, wie sie es nannten,
herumschubsten – und das dann bitter bereuten –, oder mit seinen
Zähnen und einem sehr kräftigen Arm einfache Handwerksarbeiten
auf den Höfen der Bauern ausgeführt. Genug, um zu überleben.
Doch Überleben war eben nicht alles. Nun, da sein Leben den Zenit
überschritten hatte, fühlte er sich kalt.
Kalt bis auf die Knochen,
pflegte er zu sich selbst zu brummeln. Das Feuer der Esse in ihm
erlosch langsam.
Er runzelte die faltige Stirn und fuhr sich über die buschigen roten
Augenbrauen, die über seinen scharfen, tief liegenden Augen hingen.
Es waren böse Erinnerungen.
Lass es, denn darum bist du nicht hier.
Er beobachtete die Menge, die auf die nächste Tänzerin wartete.
Iszma.
Er war klein und von gedrungener Gestalt, aber dennoch kräftig,
wie alle Leute seines Volkes. Und er hatte gelernt, sich trotz seiner
eingebüßten Rechten zu behaupten. Sein Blick wanderte zu der
Streitaxt, die an den Tisch gelehnt lag, das Heft zu ihm gedreht,
sodass er es im Zweifelsfalle innerhalb eines Herzschlags ergreifen
konnte.
Doch vermutlich würde das heute Abend nicht nötig sein.
Mias
Salon
war keine Dorftaverne, in der betrunkene Landarbeiter den
Ärger über ihr Dasein in Prügeleien ausdrückten, auch keine Hafenkneipe,
in der Seeleute sich die Langeweile mit Raufereien vertrieben.
Dieser Ort hatte seine ganz eigenen Beschützer.
Sein Blick wanderte durch den Raum. Er konnte wenigstens vier
muskelbepackte Kerle ausmachen, denen man schon an den Gesichtszügen
ansah, dass sie den Kampf auf engem Raum durchaus
beherrschten. Narben an der Stirn und auf den Wangen, gebrochene
Nasen, die schlecht verheilt waren – auch bei den Schurken von Varanas
herrschte offenbar Mangel an Heilern –, und kahl geschorene
Köpfe, die es einem Angreifer nicht erlaubten, am langen Haarschopf
zu zerren, kennzeichneten diese Schläger.
Maccon Zeeb schmunzelte. Er lebte lange genug auf der Straße,
um zu wissen, wie Diebesgilden gemeinhin organisiert waren:
Bettler und Straßenkinder für die Beschaffung von Informationen,
Huren als Einnahmequelle und zur Ablenkung, während Diebe die
Heime der Freier ausräumten – und die muskelbepackten Raufbolde
für die Einhaltung einer gewissen Ordnung. Es waren Schläger der
Diebesgilde, Schurken und Halsabschneider. Muskelkraft, die dem
Durchsetzen des Willens des Anführers der Ruchlosen diente. Brutal,
aber effizient.
Maccon selbst bevorzugte das lange Haar von Kopf und Bart –
sollte sein Angreifer doch sehen, was er davon hatte, sollte er versuchen,
daran zu zerren.
Sein erfahrener Blick erfasste das Wechselspiel aus Blicken und
versteckten Zeichen. Eine der freizügig gekleideten jungen Frauen
mit viel zu alten Augen ließ ihre Hände streichelnd über die Schulter
eines Gastes wandern, lächelte süß und lieblich – und gab den
Dieben im Hintergrund somit ein Zeichen, dass dieser Gast eine
lukrative Beute sein würde.
Maccon lachte innerlich. Der arme Bursche hatte ein raues Erwachen
vor sich. Er nahm einen tiefen Zug und verzog das Gesicht,
als ihm das bittere Gebräu durch die Kehle lief. Das Bier, das die Menschen
von Varanas brauten, war ihm zu dünn und hatte keine Würze.
Und zu warm ist es auch
, dachte er brummig, während er den
feinen Schaum von der Oberfläche blies.
Aber so ist es eben, wenn
man die Welt durchwandert. Harte Böden in der Nacht, schales Bier
und kaltes Essen bei Tag.
Ein Gong wurde geschlagen, der jedem Gast durch den Bauch
fuhr. Die Menge verstärkte das Schlagen mit den Dolchknäufen.
Eine seltsame Unruhe befiel die Gäste in
Mias Salon, als die Trommeln
den Rhythmus der Melodie einer alten Volksweise, „Tha gràdh
agam ortsa“, schlugen. Zu den äußerst inoffiziellen Gästen zählten
natürlich auch eben jene Ratsherren und Gildenfürsten, die bei Tage
moralisch gegen das Laster und den Verfall der Sitten wetterten.
Bigotterie und Politik gingen in Varanas stets Hand in Hand.
Der Rhythmus steigerte sich zu einem wilden Takt und Marco,
der Wirt, löschte die Lichter, bis nur noch ein roter Schimmer übrig
blieb, der dem Schlund der Hölle der Dreizehn glich. Sünde und
Wollust waren nämlich die Verlockungen, für die ein jeder einst seine
Strafe empfangen musste – zumindest wenn es nach den Predigten
einiger Priester ging, deren Abt übrigens gleichfalls in einer durch
dünne Vorhänge von den anderen abgetrennten Nische saß und kichernd
auf die frivolen Angebote reagierte, die ihm eine andere junge
Frau – gerade erst dem unschuldigen Mädchendasein entronnen – ins
speckige Ohr flüsterte.
Das Hämmern verhallte schließlich, und nur das glöckchenartige
Klingen, so als ob feine Metallringe und Münzen aneinanderklimperten,
erfüllte den Raum. Eine einzelne Trommel, dumpf und
fordernd, gleich einem gemeinsamen Herzschlag der Masse, hallte
durch den Salon.
Die Menge hielt den Atem an, denn schon konnten sie die Silhouette
Iszmas ausmachen. Ein sich wiegender Schatten, der herausgelöst
aus der alltäglichen Welt zu sein schien.
Der Schlag der Trommel begann einfach. Die Tänzerin trat zum
Raunen der Menge langsam hinter dem Perlenvorhang hervor, stets
darauf bedacht, auch die kleinste Bewegung ihres Körpers bedeutsam
und präzise erscheinen zu lassen. Sie hatte die Arme weit über den
Kopf erhoben, die goldenen und silbernen Armreife schepperten und
klirrten leise. Sie wirkte beinahe verträumt, denn sie hatte die dunklen
Augen, um die sie zur Betonung dunkelgrünen Lidschatten aufgetragen
hatte, halb geschlossen – gerade genug, um noch sehen zu können.
Dennoch wusste jeder Eingeweihte in dieser Schenke, dass sie
hochgradig konzentriert war. Sie bewegte ihre roten Lippen langsam,
als würde sie die Worte des Volkslieds mitsingen: „Tha gràdh
agam ortsa …“
Die Menge flüsterte und raunte, als sie die Bewegungen der schönen
Frau im Halbdunkel verfolgte. Eine seltsame Spannung baute
sich auf, Gier erwachte. Der Schein der Lichter – hier das Gelb der
Talgkerzen, dort das Flackern der Wandfackeln und des großen
Kaminfeuers in der Mitte des Raumes – wurde von den pergamentfarben
getünchten Wänden zurückgeworfen und gab der Tänzerin
einen diabolischen Hauch. Diabolik, die mit Schönheit kombiniert
wurde. Ihr Tanz war eine Darbietung voller Präzision, vollführt mit
der Perfektion eines fleischgewordenen Engels der Nacht.
Und die Blicke der Menge gaben ihr Begehren preis. Blicke, die
auf ihrem halb nackten Leib ruhten, der nur von einem blutroten
Tuch um die Brust und einem passenden Lendenschurz verhüllt war.
Ein silberner Münzgürtel wand sich um ihre Hüften, hielt die Tücher
eng an ihrem Leib und schickte bei jeder Bewegung klingende Laute
durch den Raum. Sie schlängelte ihre Arme einer fremdartigen Götterstatue
gleich, und auch dabei klirrten die Münzen und Armreife.
Das Spiel der gestählten Muskeln sprach von der Perfektion und
Kontrolle, die die Tänzerin über ihren Körper ausübte.
Sie ließ den Gästen einen Moment lang Zeit, sie zu bewundern,
dann blendete die Menge ein grelles Licht – gezündet von Marco,
der an diesem Punkt der Darbietung ein Pulver entflammte, das hell
und heiß verbrannte.
Die Menge zog scharf den Atem ein, denn um die nackten Schultern
der schönen Frau wand sich nun eine perlmuttfarbene Schlange,
scheinbar beschworen durch den vermeintlichen Zauber. Kalte Augen
in einem dreieckigen Kopf fixierten die Gäste, während Iszma
ihren Tanz fortsetzte. Langsam veränderte der Schimmer der schuppigen
Reptilienhaut seine Farbe, nahm bläulichere Tönungen an und
gab ineinander verschlungene Muster preis.
Die Schlange hieß Nayarimah.
Das Reptil schien jeder Bewegung der Tänzerin zu folgen, als
wäre es ein Teil ihres kurvigen Körpers, den sie in sanften Bewegungen
über das Podest schwang. Schritt für Schritt, vom Bereich der
Tänzerinnen hinter dem Vorhang bis zu den Gästen, glitt sie hin zu
den Tischen in der Mitte des Raums.
Mit nackten Füßen stieg sie auf den ersten Tisch. Das leise Knacksen
ihrer Fußgelenke hörte nur sie selbst. Noch ignorierte sie ihre
Gäste; achtete weder auf die Soldaten, die reichen Händler noch auf
den ein oder anderen Elfen oder Zwergen, die man seit geraumer
Zeit nun auch in Varanas fand. Verträumt, verspielt, sich ihrer selbst
scheinbar nicht bewusst, griff sie mit spitzen Fingern in ihre hochgesteckten
blutroten Haare und zog eine der weißen, unterarmlangen
Nadeln daraus hervor.
Schwerer Atem ging durch den stickigen, dunklen Raum. Iszma
befreite ihre Mähne mit einem gezielten Kopfschütteln und ließ einen
schlanken Finger hindurchfahren. Sie warf den Kopf zurück und
schickte so eine Kaskade von feurig leuchtenden Haaren durch den
Raum; ein Zeichen an Claudio, Marcos Helfer, der nun ein Feuerwerk
aus angemischten Pulvern entzündete, das Iszmas Haare wie
ein flammendes Meer aufleuchten ließ.
Ein Raunen ging durch die Menge, und sie hörte Namen wie
„Feuerkopf“ und „Dämon“, doch nicht als Fluch, sondern stets mit
der innigsten Bewunderung gemurmelt.
Allein die Schlange, die um ihren Hals hing, schien von dem
Feuerzauber unbeeindruckt zu bleiben. Mit kaltem Blick sondierte
das Reptil seine Umgebung, schlängelte sich über die Rundung von
Iszmas Busen oder zeichnete die Linien ihres flachen Bauches nach.
Mit kreisenden Hüftbewegungen ging Iszma in die Hocke und
rammte die ellenlange Haarnadel in den Tisch, wobei sie sich mit
einem Arm derart abstützte, dass keiner der Männer vor ihr ungehindert
seine Hände nach ihr ausstrecken konnte, um ihren Körper
zu betasten. Und auch wenn die Männer – Kaufleute, nach ihrer fein
bestickten Kleidung zu urteilen – einen Augenblick lang versucht
gewesen sein mochten, ihrem Verlangen nachzugeben; jetzt sahen sie
sich vor, denn der dreieckige Kopf der Schlange schützte Iszma und
schickte die gespaltene Zunge tastend in ihre Richtung.
Iszma kannte dieses Spiel, kannte die Gier, die Lust und das Verlangen.
Es war Teil des Spiels.
Ein Spiel von Verlangen und Zurückweisung. Denn keiner dieser
Männer ist es wert, meinen Körper zu berühren.
Zielgerichtet führte sie ihren Tanz fort und überbrückte den Abgrund
zur nächsten Tischreihe, wo sie sich mit lasziven Bewegungen
zwischen Bierkrügen und Weinkelchen hindurchbewegte, ohne einen
einzigen umzustoßen. Ihre Hüften bewegten sich auf und ab, auf und
ab, ein Spiel der Leidenschaft. Die Münzen erklangen im Takt der
Musik.
Die Blicke der Männer, auch die der wenigen Frauen, die sich an
ihre Kunden schmiegten oder gleichfalls von der wandernden Zunft
der Glücksritter waren, folgten gebannt jeder Bewegung. Sie kam
einem weiteren Gast sehr nahe, spürte seinen Atem auf ihrer Haut,
doch bevor er etwas sagen konnte, war sie schon wieder fort. Fuß vor
Fuß glitt sie durch den Raum, während ihre Hände Fantasiesymbole
der Begierde in die Luft malten.
Die rothaarige Tänzerin spürte die Gier und Wollust in den Bli
cken der Männer, und ihr war, als könnte sie ihre Gedanken beinahe
hören, als würden die Kerle sie laut aussprechen. Begehren, Lust
und Gier.
Sie war die Beute.
Das glaubten sie jedenfalls.
Doch ich bin die Jägerin.
Eine Jägerin, die ihre Rolle hasste. Der Geruch der Männer, die
in dieser frühen Morgenstunde nach altem Schweiß und schalem
Alkohol rochen, widerte sie an. Aber sie musste ihren Auftrag ausführen.
Sie führte ihre Aufträge immer aus, denn für eine junge Frau
war es nicht leicht, sich in Varanas zu behaupten. Zu oft wurden
gerade die jungen Mädchen, die aus Silberquell oder den Heulenden
Bergen hierherkamen, bitter enttäuscht. Sie kamen als Hausmädchen
in die vornehmen Häuser, nur um dann bereits in der ersten Nacht
festzustellen, dass ihre Kammer ganz gezielt neben die der „edlen“
Söhne gelegt worden war, damit diese – Iszma biss die Zähne zusammen
– „sich die Hörner abstoßen konnten“, wie man es hier so
billigend ausdrückte.
Elende Schweine.
Nicht wenige dieser Mädchen saßen nun hier. „Gefallene Mädchen“
schimpften die Priester sie, insbesondere jene des Ayvenas.
Die Augen trübe und mit viel zu viel dunkler Farbe geschminkt, um
die frühen Falten zu bedecken, mit denen das Schicksal ihre Gesichter
gezeichnet hatte. Andere traf es noch schlimmer. Sie wurden
geschlagen, missbraucht, gefoltert – je nach den Neigungen ihrer
„Dienstherren“.
Jemand lachte und machte obszöne Gesten, als sie von einer
Tischplatte zur nächsten wechselte, ohne dabei den Boden zu berühren.
Sie spürte, wie die Männer ihr das ohnehin nur spärliche Kostüm
mit Blicken vom Körper rissen, um noch mehr von ihrer Haut
zu sehen – oder von der Tätowierung, die sich wie die Schlange von
ihrem Schritt über ihre Hüften zu ihrem Rippenbogen hinaufwand,
dann über ihre Brüste führte und unter ihrem Arm bis unter die
Schulterblätter ihres Rückens reichte. Ein filigranes Konstrukt aus
Formen und Symbolen.
Sie blickte den fetten Kerl an und verzog die Lippen zu einem
süffisanten Lächeln, berührte sein feistes Gesicht für einen Herzschlag
lang und stieß ihn dann zurück.
Die Menge liebte es.
Verlangen und Zurückweisung.
Lachen und Lärmen erfüllte den Raum – und der Fette verharrte
reglos, denn Iszmas Schlange fixierte ihn eingehend, zischte, zeigte
Fänge, auf denen sich Tropfen sammelten, und drohte zuzuschnappen,
sollte er eine falsche Bewegung in ihre Richtung unternehmen.
Ihr Blick wanderte durch das Halbdunkel. Sie sah Männer und
Frauen, manche Menschen, Elfen und sogar einen Zwerg, der sich
im Schatten eines Alkovens zu verstecken versuchte. Sie sah eine
Patrouille der Stadtwachen die Räume betreten; ein sicheres Zeichen
dafür, dass offenbar jemand seine Schutzgelder eintreiben wollte.
Doch all dies interessierte sie nicht.
Endlich sah sie ihn. Den Gildensekretär mit dem schütteren Haar
und den hageren Gesichtszügen.
Cederic de Garam, den Geschäftsmann.
Er erinnerte sie an eine Krähe. Oder vielmehr einen Geier, der
darauf wartete, sich am Aas der Toten zu laben. Und seine Geschäfte
liefen mehr als gut, denn seine Roben waren von der feinsten Qualität.
Glänzende Seide und Goldbrokat verzierten die Säume seines
türkisfarbenen Gewands. Sein Barett wurde durch eine violette Harpyienfeder
aus der Staubteufelregion verziert, und seine schwere
Amtskette bestand aus glänzenden Rubinen.
Doch Iszma interessierten seine Geschäfte nicht. Es war ihr gleich,
ob er mit Waffen oder Drogen handelte, mit Hölzern oder Menschen.
Sie ging in Gedanken durch, was sie von ihm wusste.
Er war der Oberste Sekretär der Händlergilde von Candara, Landbesitzer
und Anteilshalter von Minengeschäften in der Staubteufel
region. Er liebte Gold, Diamanten und Rubine, die er der schweren
Arbeit verdankte, zu der er Hungernde gezwungen hatte.
Und doch war er in der guten Gesellschaft von Varanas angesehen,
war verheiratet – und hatte drei Mätressen, von denen zwei noch
minderjährig waren.
Und er war getrieben von bizarren Gelüsten.
Ihr Auftrag galt Lia, die eine Magd in Cederics Herrenhaus gewesen
war. Nun lag sie in einem der Hinterzimmer der Diebesgilde
und konnte nicht mehr laufen. Man hatte ihr das Gesicht mit Klingen
zerschnitten, weil das Schwein es genossen hatte, sie leiden zu sehen.
Cederic de Garam liebte die Macht, die er über andere Menschen hatte.
Und über Lia hatte er Macht gehabt, wie auch über die Advokaten
und Richter. Er hatte Macht über das Gesetz.
Und nun würde Iszma ihm gestatten, Macht über sie zu spüren.
Für einen Herzschlag lang.
Sie hatte ihn erreicht, stand nun mit gespreizten Beinen auf seinem
Tisch und ließ sich mit schwingenden Beckenbewegungen nieder,
bis sie vor ihm kauerte. Drei-, viermal öffnete sie gleich einem
Blumenkelch im Sonnenlicht ihre Schenkel und schlug sie sogleich
wieder zu, während sie ihn mit dem Blick einer jagenden Raubkatze
ansah. Der Blick aus ihren grünbraunen Augen verschmolz mit dem
seinen.
Er lächelte mit einem schiefen, gelblichen Gebiss, ein Ausdruck,
der ihn dümmlich aussehen ließ.
Er hat so kalte Augen. Als wären es
die Augen eines Toten.
Der Mann hielt seine Hand hoch, die in einem Handschuh aus rot
gefärbtem und teurem Wildleder steckte.
Ein Kupfertaler blitzte darin auf.
Geiziger Troll!
Jeder andere hier hätte ihr Silber oder gar Gold angeboten. Sie
hatte sogar schon Rubine und Diamanten zugesteckt bekommen –
Abenteurer waren meist sehr großzügig, besonders wenn sie gerade
einen erfolgreichen Raubzug hinter sich gebracht hatten und mit
ihren Siegen angeben wollten.
Doch Iszma formte mit ihren sinnlichen Lippen ein dankbares,
devotes Lächeln und streckte ihm ihr Dekolleté entgegen. Sie sah,
wie er mit zittrigen Fingern die Münze hinter den Stoff schob, der
ihre Brust bedeckte. Doch ihr entging nicht, wie er beinahe zufällig
seine Hand tiefer gleiten ließ, um ihren Bauchnabel und die flache
Rundung darunter zu berühren. Einen Herzschlag lang nur, denn
Nayarimah, ihre Schlange, züngelte missbilligend in seine Richtung,
wobei sich feurig gelbe Flecken im Muster der Schuppenhaut bildeten.
Jeder Gefühlszustand veränderte die Farbe der Schlange und gab
preis, wie sich das Tier fühlte.
Iszma lachte glockenhell und wandte sich um. Ihr Blick über die
nackte Schulter galt nun nur noch ihm. Unendlich langsam ließ sie
sich vom Tisch gleiten, um beinahe auf seinem Schoß zu landen.
Ihr nackter Rücken war dicht vor seiner Nase, ihre Muskeln tanzten
einen Reigen der Verführung. Er konnte die feinen Muster ihrer Tätowierung
nun ebenso sehen wie die geschuppte Haut ihrer Schlange,
die pulsierend eine blutrote Färbung annahm und dabei dunkler und
dunkler wurde. Doch Iszma war sich sicher: Alles, was ihn nun beschäftigte,
war die Berührung seines Beckens mit ihrem. Sie hörte
ihn grunzen. Sie konnte seine geifernden Gedanken beinahe greifen.
Sie waren gierig und voller Lust.
Sie hob die Arme in schlängelnden Bewegungen, gestattete seinen
Händen den Zugriff auf ihren Leib, ihren angehobenen Busen. Das
leise Klingen der Armreife und Münzen und Glöckchen bestimmte
die Perfektion ihrer Bewegung. Der Mann schnaufte und keuchte,
sog tief rasselnd den Atem ein. Sie lächelte und drehte sich, blinzelte
dabei Marco und Claudio mit einem langsamen Augenaufschlag zu,
die Iszmas als Bühnenhelfer dienten. Sie hielt seinen Blick fest und
schlängelte sich vor ihm nieder.
Devot.
Unterwürfig.
Anbiedernd.
Er bleckte die gelben Zähne und streckte seine langen, zittrigen
Finger mit den viel zu langen Fingernägeln aus. Sein Atem stank
eitrig und faul.
Sie beugte sich dicht zu ihm und ließ ihn den Duft ihrer parfümierten
Brüste einatmen. Das Gemisch aus Freesien und Iris vernebelte
seine Sinne. Leise, so leise, dass nur er sie verstehen konnte,
flüsterte sie: „Lia bedeutet ‚Sie, die die frohe Nachricht der Götter
bringt‘!“
Entsetzt starrte er sie an. Dann blendeten gleißende violette Lichter
die versammelten Gäste, als Marco und Claudio die präparierten
Pulverhäufchen entzündeten. Die Menge raunte, als sie wieder sehen
konnten, denn Iszma und ihre Schlange waren verschwunden. Die
Verwirrung hielt ein, zwei Momente an, dann brach donnernder
Applaus aus, und die Nachtschwärmer warteten auf die nächste
Attraktion, während sie lachend weitertranken und -zechten. Einen
Moment lang ließen die Wirte die Menge gewähren, dann endlich
klatschte Marco in die Hände und rief „Letzte Runde! Dann geht
nach Hause, Leute!“
Die Menge lachte und murrte zugleich, doch nach und nach leerte
sich
Mias Salon.
Den leeren Blick des Gildensekretärs, der nun regungslos auf seinem
Schemel eingesunken saß, beachteten die schnatternden Gäste
ebenso wenig wie die kleine Stichwunde an seinem Hals. Ein weiterer
Betrunkener, der über seinem Tisch zusammenbrach, war hier
keine Seltenheit. Sollten sich doch die Wirte um ihn kümmern.
Einen Herzschlag später befand Iszma sich schon in der Abgeschiedenheit
der hinteren Gasse. Regentropfen trafen ihr Gesicht
und die Tänzerin genoss das Gefühl von Reinheit, das ihr das einsetzende
Unwetter nun schenkte. Den klingenden Münzgürtel und
die Armreife hatte sie in Stoff eingeschlagen, um verräterische Laute
zu verhindern, und das Päckchen in einer der vielen versteckten
Taschen ihres langen nachtschwarzen Umhangs verstaut, den sie
dicht um die Schultern gezogen hatte. Wie ein Schatten verschmolz
sie mit der verbleibenden Dunkelheit der sterbenden Nacht. Eine
kühle Zufriedenheit, ein seltenes Gefühl für sie in den letzten Jahren,
erfüllte ihr Wesen.
Gerechtigkeit wurde geübt, Lia. Das Schwein ist tot.